Unsere Sinne sind darauf abgerichtet, auf Fahndungsfotos extrem aufmerksam zu reagieren. Und immer hat jemand vor dem Kopf ein Gesicht, das auf ein Wanted-Foto passt.
Wolfgang Nöckler reagiert auf die Fahndungsgier der Gesellschaft und setzt sein lyrisches Ich ständigen Veränderungen aus, um entweder Aufmerksamkeit zu pushen, was gerade am Kunstmarkt höchst notwendig ist, oder dieses Ich zu vertuschen und zu verstecken, was gerade im Umgang mit den Behörden das tägliche Brot des Lyrikers ist.
So spielt denn auch die Frage nach dem richtigen Gesicht in deiner medial durchgezappten Community immer wieder eine entscheidende Rolle. "gesichtsfrage // ich leih mir kurz mal dein gesicht / ich leih mir leih mir dein gesicht / dein ge dein ge ich leih mir kurz / ich kurz ich ge mal dein gesicht" (49)
Das lyrische Ich kümmert sich freilich nicht nur um das gerade passende Gesicht, es versucht mit allen Mitteln herauszukriegen, wer das überhaupt ist, der da singt, Leute anmacht, auf die Wände spritzt oder eine Bestellung aufgibt. "Ich hätte gerne eine Kuh voll Milch, ein Schwein voll Schnitzel und einen Baum voll Äpfel." (22)
Oft sind selbst die Grundbefindlichkeiten kaum in Worte zu fassen, wie etwa der simple Wohlstandshunger, der in einem gigantischen Bauch gefangen ist. Mit dem Stilmittel der visuellen Poesie wird hier der Hunger dargestellt als Textblock, der aus den graphischen Zeichen für das aufgeschriebene Wort Bauch besteht, mitten in dem Wörterbauch ist eine Leerstelle, die als Hunger, Loch, Nabel oder Antimaterie eines Bauch-Piercings gelesen werden kann. (18)
Auf der Suche nach der Identität verfällt das Ich auch in die sogenannte Wichsphase, dabei geht es darum, sich durch rhythmische Handgriffe am richtigen Ort wie im Drogenrausch eine individuelle Welt zu illuminieren. "ja ich bin ein wichser / ich wichse die wände voll / mit meiner unansehnlichkeit / & ich wichse vom dach der überheblichkeit / ich wichse // unnahbarkeit // ich bin allein, doch ich wichse mir / eine welt (23)
Ähnlich grotesk pathetisch geht es in der Ode an den Schiss zu, der mit viel Schmonzes besungen wird. Was auf den ersten Blick als überdimensioniert erscheint, nämlich einen Alltagsakt mit einer Ode zu besingen, erhält seinen Tiefgang jedoch im Vergleich mit anderen Oden der Gegenwart, etwa Peter Handkes Laudatio auf das Klo. Als Lob auf die Gegenwartsliteratur, Peter Handke und den Literaturbetrieb gelesen, entwickelt sich Wolfgang Nöcklers Hommage an den Schiss zu einer kritischen Literaturgattung.
Den Gedichten liegt jeweils eine verdeckte Musik zugrunde, manche Texte schreien direkt danach, gesungen zu werden. Wolfgang Nöcklers Gedichte sind im Ton zwischen den Balladen der Beatniks und der Tagesverfassung der Poetry-Slamer angesiedelt. Kleine Post-It's schlagen dabei den Rhythmus von Lebensweisheiten: "Keine Antwort ist auch keine Antwort".
Helmuth Schönauer (Pool Feuilleton//www.biblio.at)
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pyjamaguerilleros
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73 Lyrik
ISBN:
978-3-9503021-5-8
Beschreibung:
136 Seiten
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deutsch